Geschichte

Zur Vorgeschichte

fsvx_0000
Hans Gutermuth im Jahr 1912 mit der FSV X auf der Wasserkuppe

Alles begann mit einer Gruppe flugbegeisterter Gymnasiasten: Im Jahr 1909 gründeten sie die Flug-Sport-Vereinigung (FSV) Darmstadt. Inspiriert von der Internationalen Luftfahrt-Ausstellung in Frankfurt, begannen sie, eigene Gleiter zu bauen und in Darmstadt sowie ab 1911 auf der Wasserkuppe zu erproben. Binnen weniger Jahre wurden 10 Muster in etwa 15 Abwandlungen gebaut und geflogen: Aus Schülern waren inzwischen Studenten der TH Darmstadt geworden, aus Flugbegeisterung wurde Wissenschaft. 1913 richtete die TH eine planmäßige Professur für Luftfahrt ein, wohl die erste in Deutschland. Im gleichen Jahr baute die FSV bereits ein Motorflugzeug, das jedoch nie vollständig erprobt wurde: Der Erste Weltkrieg brach aus; die jungen Flieger wurden Soldaten, von denen nur ein Teil aus dem Krieg zurückkehrte.

Die ersten Jahre

d-1-amstart
Die D-1 am Start

Nach dem Ersten Weltkrieg verboten die Siegermächte in Deutschland den Motorflug. Zu dieser Zeit nahmen sich einige Studenten der TH Darmstadt ein Beispiel an der FSV und schlossen sich zusammen, um den Flugsport wieder zu beleben – und zwar ohne Motor. Es dauert noch ein Jahr, ehe im November 1920 ein Vorstand gewählt und damit offiziell die Akademische Fliegergruppe Darmstadt gegründet wurde. Die Akaflieg begann mit der Arbeit an ihrem ersten Projekt, der D-1: ein abgestrebter Hochdecker, entworfen von Eugen von Lößl, der erst nach dem tödlichen Unfall seines Konstrukteurs fertig gebaut wurde. Im Mai 1921 begannen die Studenten mit dem Bau der D-3 „Nolleputzchen“. Ihr Ziel: das Flugzeug bis zum Rhönwettbewerb auf der Wasserkuppe im August fertigzustellen. Wegen eines Transportschadens kam die D-3 erst am letzten Wettbewerbstag an. Eine Konkurrenz für die bisherigen Rhönsieger war sie zwar nicht, doch die Akaflieger gewannen viel Erfahrung und spielten beim Wettbewerb im folgenden Jahr eine führende Rolle. So flog Hans Hackmack auf der D-6 „Geheimrat“ 1 Stunde und 18 Minuten lang. Auch 1923 stellte die Akaflieg mit der D-9 „Konsul“ einen Streckenflug-Weltrekord über 18,7 Kilometer auf. Die Studenten hatten inzwischen eine gut geleitete Werkstatt, erfahrene Mitglieder und Flugzeuge, mit denen geschult werden konnte. Dies war zwingend notwendig, denn die Gründungsmitglieder machten ihren Studienabschluss – der Nachwuchs trat auf den Plan.

Die Akaflieg entwickelt sich

In den ersten Jahren wurden die Flugzeuge mehr nach Gefühl und Erfahrung entworfen. Bald machte sich die Hochschule bemerkbar: Sie vermittelte theoretische Grundlagen, die die Studenten beim Konstruieren anwendeten. Und was die Professoren in ihren Vorlesungen nicht vermitteln konnten, erarbeiteten sich die Flieger selbst. Auch an theoretischen und praktischen Untersuchung zur Metereologie, insbesondere der Aufwinderforschung, beteiligte sich die Akaflieg. Damit lieferte sie einen entscheidenden Beitrag, um den Sprung vom reinen Hangflug zum Thermikflug zu schaffen. Zu Beginn war es ausreichend, so lange wie möglich in der Luft zu bleiben – nun wollten die Studenten auch Strecken fliegen. Dazu mussten sie ihr Konzept überdenken: Bei den ersten Flugzeugen ging es darum, ein schnelles Sinken zu vermeiden. Nun wurde beim Konstruieren auch auf eine gute Gleitzahl und höhere Geschwindigkeit geachtet. Auch wurde den Studenten bewusst, was für das Kreisen im „Bart“, einem Schlauch aufsteigender Luft, vorteilhaft war: niedriges Gewicht und für gute Wendigkeit eine kleine Spannweite.

Ein neues Konzept

d28_00001933 startet die Akaflieg Darmstadt mit der D-28 „Windspiel“ den Versuch, ein möglichst leichtes, kompaktes Flugzeug für den Thermikflug zu entwickeln – mit Erfolg: Auf der Waage erzielte die fertige, voll kunstflugzugelassene D-28 mit 12-Meter-Wölbklappenflügel ein Leergewicht von 54 Kilogramm. Zum Vergleich: Moderne Standardklasse-Segelflugzeuge aus Faserverbundwerkstoffen haben Leergewichte um 250 Kilogramm. Tatsächlich konnte sich das „Windspiel“ noch lange in der Luft halten, wenn alle anderen Segelflugzeuge längst wieder am Boden waren. 1934 wurden auf der D-28 mit einem Streckenflug von 240 Kilometern ein Weltrekord aufgestellt.

Ein krasses Gegenteil

d30_0000Mitte der 30er Jahre experimentierten die Akaflieger weiter mit neuen Werkstoffen: Mit der D-30 „Cirrus“ entstand erstmals ein Segelflugzeug mit tragenden Teilen aus Aluminiumlegierungen. Bei der aerodynamischen Gestaltung flossen ebenfalls neue Ergebnisse ein. So handelte es sich bei den Flügelprofilen um Vorläufer der heutigen Laminarprofile. Auch die Flügelstreckung von 33,6 bei etwa 20 Metern Spannweite war für damalige Verhältnisse dramatisch. Eine weitere Besonderheit: Um Aufschluss über die flugmechanischen Auswirkungen unterschiedlicher V-Formen zu gewinnen, konnte die V-Stellung des Außenflügels während des Flugs verstellt werden. Die D-30 war den damals gängigen Flugzeugen weit überlegen: Erst Anfang der 60er Jahre gelang es, ihre Flugleistugen (Gleitzahl 37,6) mit modernen Kunststoffsegelflugzeugen zu übertreffen.

Eine schwere Zeit

Seit 1933 hatte sich der politische Druck durch die NS-Regierung erhöht. Akafliegs und Flugsportvereine mussten damit rechnen, aufgelöst zu werden. Manche wurden gezwungen, ihre Flugzeuge abzugeben. Trotz vieler Störungen durch die NS-Verbände gelang es, die Gruppe in Darmstadt so lange selbstständig zu halten, bis sich die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) mit den Akafliegs beschäftigte, ihnen den Namen „Flugtechnische Fachgruppe“ (FFG) gab und ihre finanziellen Sorgen minderte. Als der Zweite Weltkrieg aber begann, wurden viele Studenten eingezogen. Die TH Darmstadt stellte ihren Lehrbetrieb ein. Die Werkstatt der Akaflieg wurde geschlossen.

Ein Neuanfang

Am 27. April 1951 wurde der Segelflug in Deutschland wieder zugelassen. Wenige Tage zuvor hatte sich die Akaflieg Darmstadt neu gegründet. Die Studenten mussten nahezu bei Null anfangen, fanden jedoch schnell eine Werkstatt und ein Konstruktionsbüro und nahmen wieder an Wettbewerben teil. Leider mussten sie sehr oft umziehen, da sich die Unterkunftsverhältnisse in der Hochschule während des Wiederaufbaus ständig änderten.

Ein großer Erfolg

d36-gelnhausen2Im Jahr 1962 begannen die Vorarbeiten an der D-36 „Circe“. Ihre Besonderheit: die auf Balsaholz gestützte GFK-Sandwichkonstruktion. Zwar waren die Konstrukteure der D-36 nicht die ersten, die ein vollständig aus Kunststoff gefertigtes Segelflugzeug entwickelten, doch es gelang ihnen, die Eigenschaften des neuen Werkstoffs erstmals konsequent auszunutzen und in ein passendes Gesamtkonzept zu integrieren. Sie bauten einen Flügel mit hoher Streckung und zwei brandneuen, dünnen Laminarprofilen. Um die Flugeigenschaften zu verbessern, wurde beim Betätigen der Wölbklappe die Querruderdifferenzierung automatisch verändert – ein großer Leistungssprung, der sich in einer Reihe von Wettbewerbserfolgen manifestierte: So gewann Gerhard Waibel, einer der Konstrukeure, nur wenige Wochen nach dem Erstflug die deutsche Meisterschaft. Wie Waibel wurden auch zwei seiner Mitkonstrukteure, Wolf Lemke und Klaus Holighaus, im industriellen Segelflugzeugbau bekannt. Sie wechselten nach dem Ende ihres Studiums zu drei verschiedenen großen Herstellern in Deutschland: Alexander Schleicher, Rolladen Schneider und Schempp-Hirth Flugzeugbau. So wurde die D-36 zum Stammvater moderner Kunststoffsegelflugzeuge.

Die Akaflieg heute

An dieser Stelle endet der Rückblick auf die Geschichte der Akaflieg Darmstadt. Denn was nach der D-36 passierte, strahlt bis in die Gegenwart aus: Die D-37 „Artemis“ wird zurzeit von einer Gruppe Hannoveraner Akafliegern restauriert, die D-38 wird grundüberholt. D-39 „McHinz“ und D-40 werden geflogen. Das neuste Projekt, die D-43 „Fuchur“, befindet sich in der Flugerprobung und wartet auf seine endgültige Zulassung. Leider überlebten viele Prototypen den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit nicht. Ein großes Vermächtnis der Akaflieg jedoch, die D-36, befindet sich im Deutschen Segelflugmuseum auf der Wasserkuppe – dem Ort, an dem alles begann.